Kollwitzstrasse 52 | Berlin-Prenzlauer Berg
Informationen zur Geschichte des Hauses Kollwitzstraße 52 in Berlin, Prenzlauer Berg

Vertiefende Texte


Wilhelm Reichardt (1855–1938)
bekannte Lebensdaten

Die unmarkierten Teile stammen aus der Rheinland-Pfälzischen Personendatenbank. Die blauen Bereiche () markieren die Rechercheergebnisse des Verwaltungsgerichts Berlin, 22. Kammer. Die rot markierten Teile () wurden durch die Verfasser 2009 recherchiert.

 

Geboren 1855 in Mörschied in Rheinland-Pfalz, vermutlich war er Sohn eines Bauern. Nach dem Besuch Gymnasiums Birkenfeld absolvierte Wilhelm Reichardt trotz seines Wunsches, Maler zu werden, zunächst eine Graveurlehre bei seinem Vetter Wilhelm Eissel. 1875 zog er, unter dem Vorwand, Theologie studieren zu wollen, nach München um, um dort die Kunstakademie zu besuchen. 1886 wanderte er nach Brasilien aus, wo er längere Zeit in kleinen Orten lebte. Hatte er bis dahin an großen Gemälden, u.a. Historienbildern gearbeitet, wandte er sich nun der Zeichnung zu; entwickelte einen naturalistischen, quasi-dokumentarischen Stil (oft Schwarz-Weiß). In Sao Paulo kam es nach einigen Jahren zu einer großen und erfolgreichen Ausstellung, er wurde Professor in Sao Paulo und Rio de Janeiro. In Brasilien heiratete (3. Ehe) er Margarita, geb. Cohen, die Tochter eines wohlhabenden deutschen Einwanderers aus Lima. Um das Jahr 1906 kehrte er zurück nach München, war 1917 wohnhaft in Idar, dann folgte 1920 der Umzug nach Berlin, wo seine Frau ein Haus erwarb.
Schon 1912 hatte das königliche Museum für Völkerkunde in Berlin im Rahmen einer Ausstellung mit Neuerwerbungen eine Reihe von Zeichnungen Reichardts gezeigt. Im Ibero-Amerikanischen Institut ist heute noch ein Katalog erhältlich.(0) 1937 wurde in Idar eine Retrospektive gezeigt.(1)

12.3.1929 In einer Notariatsurkunde wird als Wohnsitz für "Frau Professor Margarita Reichardt geborene Cohen" wie für ihren Mann, "Herrn Professor Reichardt" die Gieselerstraße 21 in Berlin-Wilmersdorf angegeben. (2)

1932 Im Adressbuch von Berlin wird unter Bayrischer Platz 3 "Reichardt, M." als Eigentümerin ("E") aufgeführt. Unter den Bewohnern gibt es keinen Eintrag. (3)

1933 bis 1938 Im Adressbuch von Berlin wird unter Bayrischer Platz 3 "Reichardt, M." als Eigentümerin ("E") aufgeführt. Zusätzlich gibt es unter den Bewohnern den Eintrag "Reichardt, W. Professor Maler". (3) (Das Landeshauptarchiv Brandenburg gibt am 29.6.1995 für sämtliche Jahre bis 1943 in den von ihnen eingesehen Adressbüchern fälschlich nur den Eintrag "Reichardt, W. Professor" und für 1937-38 den Zusatz "E" an.)

1935 bis 1937 Weder Herr noch Frau Reichardt sind in den Berliner Adressbüchern als "Eigentümer" des Hauses Weissenburgerstrasse 22 ausgewiesen, selbst im Jahr 1935 wird noch Rotholz als "E" gelistet. (3)

1939 - 1943 In diesen letzten bis zum Kriegsende erschienenen Berliner Adressbüchern findet sich unter Bayrischer Platz 3 noch der Eintrag "E Reichardt, M. (Peru)" (E=Eigentümerin). (3) *

1938 erneute Ausreise nach Brasilien (mit seiner Frau?), wo er jedoch bald starb; sämtliche Bilder hatte er mitgenommen.

Seine Frau, Margarita Reichardt geb. Cohen, lebt nach dem Zweiten Weltkrieg in ihrem Heimatland Peru. Hier heiratet sie wieder. Am 29.10 1956 um 10 Uhr wird die standesamtliche Heirat in Lima/Peru mit Juan Dagoberto García Ramos verzeichnet. Herr Ramos ist 36 Jahre alt und wohnhaft in der Calle López de Zuniga 310. M. R. wird in der Urkunde als Frau Margarita Cohen Servin bezeichnet (mit ihrem Mädchennamen nach spanischer Namensgebung), sie ist an diesem Tage 75 Jahre alt, der Wohnsitz ist ebenfalls Calle López de Zuniga 310. (4)

Wilhelm Reichardts einziges in Deutschland verbliebenes Bild wird 1948 in der Ausstellung "Birkenfelder Maler" ausgestellt.

 

 

*Dieser Adressbucheintrag widerlegt eine Auskunft des Brandenburger Landeshauptarchives von 1995, wonach Frau R.-Cohen nicht in den Berliner Adressbüchern für die Adresse Bayrischer Platz 3 gelistet gewesen sei. Dort sei 1937-39 ihr Ehemann Prof. Wilhelm Reichardt als (E) Eigentümer vermerkt gewesen. Die Tatsache, daß Frau R.-Cohnen 1939 neu als Eigentümerin in den Adressbüchern aufgenommen wurde, bedeutet wiederum, daß sie von den nationalsozialistischen Verwaltungen als peruanische Staatsangehörige betrachtet wurde. Dies hatte offenbar zur Folge, daß sie nicht wie andere jüdische Hausbesitzer seit 1938 (Vermögensverordnung für Juden) enteignet wurde. Für diese These spricht zudem, daß sie nach dem Krieg für den Wiederaufbau des Hauses am Bayrischen Platz einen Kredit beantragte (s.o. 1957). Damit erweist sich im Nachhinein die Entscheidung des Vermögensamtes (LAROV) aus dem Jahr 1998 als zweifelhaft, die Rückübertragung des Hauses allein an die Jewish Claims Conference vorzunehmen. Margarita Reichardt-Cohen war zwar jüdischen Glaubens, wurde aber offensichtlich in Deutschland nicht als Jüdin verfolgt.

 

Quellen:
(0) Ibero-Amerikanische Institut in Berlin: Katalog zur Ausstellung 1912.
(1) Rheinland-Pfälzische Personendatenbank: Reichardt, Wilhelm / 1855-1938, abgerufen am 25.12.2022.
(2) (Grundbuchamt ?) Schöneberg 3285 :Abschrift v. 15.3.1929 d. Urkunde Nr. 24 des Notariatsregisters für 1929, Notar und Rechtsanwalt Hugo Jarius. 1.Seite als Fotokopie vorliegend.
(3) Adressbücher der Stadt Berlin von 1931 - 1943 - Interneteinsicht am 28.8.2009: .....
(4) Standesamtliche Heiratsurkunde vom 29.10.1956, Chancay, Peru; als Deutsche Übersetzung von der Deutschen Botschaft in Lima am 12.2.1957 angefertigt.

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2022-12-29