Kollwitzstrasse 52 | Berlin-Prenzlauer Berg
Informationen zur Geschichte des Hauses Kollwitzstraße 52 in Berlin, Prenzlauer Berg

Vertiefende Texte


Sanierung in Prenzlauer Berg / Sanierung des Hauses Kollwitzstraße 52

Eine persönliche Bilanz - Nicolaus Schmidt & Christoph Radke - 4. Dezember 2009

 

 

Die Sanierung des Altbaubestandes im damaligen Bezirk Prenzlauer Berg war nach der Deutschen Einigung eine gewaltige Aufgabe.

Um die Sanierung voranzutreiben und zu gestalten, wurden vom Berliner Senat ab 1993 als wichtig erachtete Kieze als Sanierungsgebiete ausgewiesen. Deren Sanierung sollte den am 31.8.1993 vom Senat verabschiedeten Leitsätzen zur Stadterneuerung folgen.(1) Zur Planung und Umsetzung der Sanierung wurden Trägergesellschaften wie z.B. die S.T.E.R.N. vom Bezirk beauftragt.

Nach der Ersteigerung des Hauses Kollwitzstraße 52 hatten wir uns im Dezember 1990 sofort mit den Mitarbeitern von S.T.E.R.N in Verbindung gesetzt, die uns als erfolgreiche und sozial verantwortliche Gesellschaft bekannt war. Die von den S.T.E.R.N-Mitarbeitern formulierten Sanierungsziele (damals noch Planung) deckten sich weitgehend mit unseren Vorstellungen einer Sanierung eines Altbaus in einem dicht besiedelten Großstadtkiez. 18 Jahre später, zur Aufhebung des Sanierungstatus des Kollwitzkiezes zum 31.12.2008 haben wir eine dezidiert andere Meinung als S.T.E.R.N und die Bezirkspolitiker zur Frage, ob die Umsetzung der Sanierung im südlichen Prenzlauer Berg eine Erfolgsgeschichte war. Laut Bezirk und S.T.E.R.N ist die Sanierung ein Erfolg mit wenigen Abstrichen, aus unserer Sicht ist die Sanierung gemessen an den ursprünglichen Sanierungszielen und der Höhe der eingesetzten öffentlichen Gelder eine missratene Operation mit optisch schönem Ergebnis.

Im Folgenden möchten wir zu den Erfahrungen mit unserem Haus im Speziellen und zu unseren Beobachtungen im Allgemeinen etwas ausführlicher Stellung nehmen.

 

Bewahrung der Altbausubstanz und Modernisierung der Wohnungen (I.)

Die Rettung der noch weitgehend flächendeckend erhaltenen, aber über Jahrzehnte vernachlässigten Altbausubstanz in Prenzlauer Berg war nach 1990 eine gigantische Aufgabe. Zusammen mit einer dringend notwendigen Modernisierung der Wohnungen, die oft noch mit Braunkohle beheizt wurden und teilweise über keine Bäder verfügten, würden etliche Milliarden DM erforderlich, dies war zu Beginn der Sanierung auch den politisch Verantwortlichen klar (für alle Altbaugebiete im Ostteil Berlins schätzte der Senat 1993 eine Summe von 43 Mrd. DM (B)). Über die Ausweisung zentraler Gebiete als Sanierungsgebiete sollte dieses Vorhaben einerseits vorangetrieben, andererseits in "sozialverträglichen" Formen kanalisiert werden.

 

Erhaltung preiswerten Wohnraums und Verhinderung einer Verdrängung der vorhandenen Mieter (II.)

Der Bezirk versuchte den Spagat der Sanierungsziele (I) & (II.), in dem es darum gehen sollte, die (zukünftigen) Hauseigentümer zu gewünschtem sozial verträglichen Sanieren zu bewegen, über eine Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche zu schaffen. Das Zuckerbrot waren üppige Förderungen für Haussanierungen und -Modernisierungen, in denen sich z.B. die Eigentümer im Gegenzug langfristig auf niedrige Mieten mit Belegungsrecht durch das Bezirksamt binden sollten (hier wurde ein öffentlicher Mitteleinsatz von 1,5 Mrd. DM für die Wohngebäudesanierung eingeplant.) (2) Da diese Bindung trotz der üppigen Fördermittel erfahrungsgemäß bei Investoren nicht sonderlich beliebt ist, sollte die Peitsche, äußerst niedrig bemessene Mietobergrenzen für frei finanzierte Modernisierungen, für den Zulauf zu den Förderprogrammen sorgen.

Nach 15 Jahren derart öffentlich gesteuerter Sanierung, trotz einer Summe von 131 Millionen Euro öffentlicher Ausgaben, sind nach einer Sozialstudie des Kreuzberger Büro für Stadtplanung, -forschung und -erneuerung (PFE) gerade noch 17,3 Prozent der heutigen Bewohner solche, die schon vor 1993 im Gebiet wohnten. Damit ist das zum zentralen Punkt erhobene Sanierungsziel, die angestammten Bewohner nicht durch die Sanierung verdrängen zu lassen, nicht erreicht worden. Das durchschnittliche Netto-Haushaltseinkommen der rund 7 000 Haushalte im Sanierungsgebiet ist mit 2 332 Euro mit Werten von Steglitz-Zehlendorf vergleichbar. Dies belegt den starken sozialen Wandel in der Bewohnerschaft.(3)
Der gewählte Weg (Mietobergrenzen in der Breite einerseits, Förderung für einen Teil der Häuser andererseits) zur Lösung des gigantischen Sanierungsvorhabens hat, wie die PFE-Studie zeigt, nicht nur ein klägliches Ergebnis, sondern ist sogar mit dafür verantwortlich, daß heute (2009) zur Auflösung der ersten Sanierungsgebiete sich die Sozialstruktur in den Kiezen sich so gewandelt hat, wie man es mit diesen Maßnahmen verhindern wollte. Als Nebeneffekt trug man dazu bei, daß das Land Berlin den bekannten desaströsen Schuldenberg angehäuft hat.

Wir haben es 1996 durchkalkuliert: Bei der vorgegebenen Mietobergrenze von (damals) DM 6,33/qm war eine Sanierung, geschweige denn Modernisierung der großen Wohnungen hier im Haus finanziell einfach nicht machbar - dies, obwohl wir mit einer Zinsbelastung durch den Kauf kalkulierten, die vergleichsweise zu anderen Häusern eher niedrig war. Entsprechend dieser Ausgangslage hat damals ein großer Teil der Hauseigentümer oder Kaufinteressenten abgewartet und schließlich wenige Jahre später, als das ganze unfinanzierbare Sanierungs-Konzept von der Politik als Folge der immensen Verschuldung Berlins aufgegeben werden mußte, dann lieber eine Umwandlung zu Eigentumswohnungen und die Modernisierung als - nun wirklich - Luxussanierung betrieben.
Der Sanierungsansatz, die Hauseigentümer per Zwang in die öffentliche Förderung zu “treiben“, hätte allenfalls dann funktionieren können, wenn wirklich genügend Geld zur Förderung für alle Gebäude vorhanden gewesen wäre. Es war aber schon anfangs abzusehen, daß die bewilligten 1,5 Mrd. DM nur für einen Teil der Häuser in den Sanierungsgebieten reichen würden (s. übernächsten Absatz).

Schufen die Sanierungen der 90er Jahre fast ausschließlich wieder Mietwohnhäuser, so firmierten die Sanierungen/Modernisierungen nach der Jahrtausendwende überwiegend und zum Schluß ausschließlich als Projekte für Eigentumswohnungen. Auch wenn hier immer noch im Vergleich zu München oder Hamburg die Kaufpreise moderat waren (und sind), so konnten sich diese Wohnungen natürlich nur noch Leute mit gutem, möglichst Doppeleinkommen leisten. Die in der Presse vielgeschmähten (will heißen: beneideten) Öko-Akademiker zogen zunehmend in die neu fertiggestellten Wohnungen ein. Heute, 2009, ist der Kiez um den Kollwitzplatz so bürgerlich, wie er damals, in den Jahren ab 1873, zur Bauphase nach dem deutsch-Französischen Krieg hätte werden sollen, aber unter der Konkurrenz des aufstrebenden Charlottenburgs nicht wurde. Die Politik der Mietobergrenzen (später ohnehin vom Berliner Kammergericht für rechtswidrig erklärt) hat also mit dazu beigetragen, daß sich eine "soziale Entmischung", wie es im Polit-Deutsch heißt, im südlichen Prenzlauer Berg massiv vollzogen hat (andere Gründe hierfür > Link folgt).

Aber es gibt doch die Häuser, die zu Beginn mit vielen Millionen DM bezuschußt und saniert worden sind, lautet vermutlich der Einwand. Auch dieser Ansatz hat nicht verhindern können, daß die Mehrzahl der ursprünglichen Mieter dieser Häuser den Kiez verlassen haben. Durch die spezifische Berliner Art der Sanierung deLuxe (siehe > Link folgt), aufbauend auf den Erfahrungen im früheren durch Subventionen gepäppelten Westberlin, wurde der Umzug vieler Bewohner geradezu gefördert. Die Mehrzahl dieser Häuser wurden vor Baubeginn komplett geräumt, den Mietern wurden preisgünstige, oft frisch renovierte Umsetzwohnungen angeboten. Angesichts dieser Alternative hat sich ein großer Teil der betroffenen Bewohner verständlicherweise dafür entschieden, nur einmal umzuziehen und ist in der Umsetzwohnung geblieben. Mieter, die sich entschieden hatten, während der Bauarbeiten in den Wohnungen zu bleiben (der Autor kennt einige), wurden von Bauleitung/Eigentümer als Störfaktor betrachtet und behandelt. Das Sanierungsziel, die angestammte Bewohnerschaft in den Kiezen zu halten, ist mit dieser millionenschweren geförderten Sanierung nicht nur nicht erreicht sondern sogar konterkariert worden. Immerhin ist damit eine Anzahl Wohnungen mit preiswerten Mieten entstanden. Daß es in vielen Fällen (nicht: bei den völlig maroden Häusern) anders geht, hatte vorher schon die Sanierung in vernachlässigten Altbaugebieten anderer Großstädte gezeigt.

Es gab auch schon gleich zu Beginn der Sanierungsphase, 1992, ein Modell der Sanierung im Kollwitzkiez, in dem ein großer Teil der Hausbewohner bzw. interessierter Nachbarn mit einbezogen war: die Sanierung durch eine neu gebildete Genossenschaft. („Selbstbau“ in der Rykestraße http://www.wohnportal-berlin.de/rykestrasse-1314berlin-prenzlauer-bergmietergenossenschaft-selbstbau-eg/ ) Dieses Modell hätte gezielt gefödert werden müssen, da in den Genossenschaftshäusern (auch mind. eines in der Kollwitzstraße) die Quote der Hausbewohner aus dem Haus/Nachbarschaft besonders hoch ist und zudem dauerhaft günstiger Wohnraum geschaffen wird. Diese Chance ist früh vertan worden.

In den genannten Leitsätzen des Berliner Senats von 1993 hieß es zwar unter 9: "Die erforderliche Erneuerung der Altbausubstanz kann nur durchgeführt werden, wenn Eigentümerinitiativen aktiviert und die Maßnahmen verstärkt durch privates Kapital finanziert werden." (2) Dieser Leitsatz bot aber im Gegensatz zu den anderen keine Instrumente und Wege an, wie dieses private Kapital aktiviert werden könnte - es gab lediglich einen Passus zur Unterstützung der schnellen Klärung von offenen Eigentumsfragen. Offenbar war diese Aussage mehr eine politische Ablenkung, um von der unweigerlichen Nichtfinanzierbarkeit der übrigen (detailliert dargestellten) Leitsätze abzulenken. Dementsprechend agierten Sanierungsträger und Bezirk in der Umsetzung so, daß eine wirtschaftliche Finanzierung von Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen durch die Grundstückseigentümer nahezu unmöglich gemacht wurde.

Hierzu unsere Erfahrungen aus der Kollwitzstraße 52. Bedingt durch die nach wie vor ungeklärten Eigentumsverhältnisse (s. Link folgt), verfiel unser Bewilligungsbescheid zur Förderung einer durch die Hausgemeinschaft getragene Selbsthilfesanierung. Wir Eigentümer in spe („Besitzer“) konnten an andere Förderprogramme ebenso wenig heran kommen und mußten uns überlegen, wie wir das Haus aus eigener Wirtschaftskraft sanieren.

Zu DDR-Zeiten unterhielt die Ostberliner Sparkasse im 1.OG ein Wohnheim für Mitarbeiter (mit getrennten WCs für Männer/Frauen, eine klassische gewerbliche Nutzung). Diese seit 1989 leerstehenden Räume bezog am 1.10. 1991 - in Absprache mit uns "Hausbesitzern" die Friedländerschule, die damals überwiegend jüdische Immigranten aus der Ex-Sowjetunion für das neue Leben in Deutschland ausbildete. Zur Eröffnung erschien der Bezirksbürgermeister und wir hofften mit dieser Gewerbeeinheit wie auch mit der Arztpraxis einen Einnahmensockel für das Haus zu haben, der moderate Wohnungsmieten ermöglichen sollte. Noch bevor die Eigentumsverhältnisse des Hauses geklärt waren, meldete sich dann das Bezirksamt und verlangte, daß die "gewerbliche Nutzung von Wohnraum" unverzüglich beendet werden und die Friedländerschule ausziehen müsse. Angesichts unserer unsicheren Rechtslage und der Tatsache, daß die Ost-Sparkasse für ihr Wohnheim bei der kommunalen Wohnungverwaltung (KWV) der Einfachheit halber einen normalen Wohnmietvertrag abgeschlossen hatte, verzichteten wir damals auf einen rechtlichen (und evtl. teuren) Widerspruch und das Haus verlor eine Einnahmequelle, um eine Sanierung bei "sozialverträglichen" Mieten aus sich heraus zu finanzieren. Die Friedländerschule mußte sich neue Räumlichkeiten suchen.

Unseren zweiten Versuch, eine "sozialverträgliche" Sanierung ohne finanzielle Unterstützung des Landes Berlin auf die Beine zu stellen, wollte das Bezirksamt ebenfalls verhindern. Die grüne Stadtbaurätin Dubrau drohte, den Ausbau des Souterrain zusammen mit dem Hochparterre zu Laden- und Praxiseinheiten zu verhindern. (s. u. ausführlich unter San-Ziel (IV.) ) Nur mit juristischem Beistand, der ja wiederum etwas kostete, konnten wir das existentielle Finanzierungskonzept unserer Sanierung durchsetzen. (weitere Elemente unseres „Sonderweges“: s. Link folgt)

Gerade im südlichen Prenzlauer Berg gab und gibt es viele Häuser, die durch eine Mischnutzung (Läden u.a. im Erdgeschoß/Wohnen darüber) eine private Finanzierung für die Sanierung aus sich heraus hätten entwickeln können. Der Bezirk hat solche Wege systematisch torpediert und damit die oben genannte Leitlinie "verstärkt privates Kapital" aktivieren ad absurdum geführt. Als das öffentliche Geld für spektakuläre Einzelobjekte (z.B. Häuser mit Brücken über den Innenhof zwischen zwei Seitenflügeln) aufgebraucht war, mußte der Senat 2002 die Einstellung der Landesförderungsprogramme verkünden und die Senatorin Ingeborg Junge-Reyer erklärte plötzlich, daß die "Bildung von Wohneigentum im Bestand, auch in den Sanierungsgebieten, im Interesse Berlins" liegt. (4)

 

Verbesserung der Infrastruktur und des Wohnumfeldes (III.)

Für die Umsetzung dieser beiden Sanierungsziele sind der Bezirk und das Land Berlin überwiegend direkt zuständig gewesen. Im Bereich des "Wohnumfeldes" hat sich in der Tat gegenüber DDR-Zeiten einiges getan. Spielplätze wurden saniert oder neu angelegt - unter Einbeziehung örtlicher Künstler und kreativer Handwerker in einer für andere Großstädte unbekannten Individualität. Gehwege und Straßenkreuzungen wurden (bzw. sollen noch !) saniert bzw. fußgängerfreundlich umgebaut (werden). Schon in den ersten Nachwendejahren gab es ein Berlin-weites Pflanzprogramm für Straßenbäume. Der ehemals steinerne Prenzlauer Berg ist grün geworden. Zusammen mit den Parks, dem jüdischen Friedhof oder dem Wasserturmareal und den in sehr vielen Fällen begrünten Hinterhöfen (! - sowohl auf private Initiative, wie auch gefördert durch das Land Berlin) ergibt sich heute eine Durchdringung der Architektur durch eine städtische vielfältige Vegetation.

Die Infrastruktur im südlichen Prenzlauer Berg hat sich ebenfalls stark verändert, wobei sich aber gerade in der öffentlich vorgehaltenen Infrastruktur im Vergleich zur Situation zu DDR-Zeiten manches auch negativ entwickelt hat. Gab es bis 1990 ein dichtes Netz an Bibliotheken und speziellen Kinderbibliotheken (z.B. Husemannstraße), so mußte dies, auch angepaßt an veränderte Lebens- und Medienwelten, stark ausgedünnt werden. So stark es auch durch Versorgungsmängel beeinträchtigt war, so dicht war doch das Netz der ärztlichen Versorgung mit den Polikliniken (z.B. "Karl-Kollwitz" an der Prenzlauer Allee). Die heutige Arztpraxis in der Kollwitzstraße 52 fungierte als Außenstelle. Das Kitanetz versorgte die kleinen Kinder (wie - darüber gibt es genügend kritische Berichte), die Betreuung und das schulische Angebot für Kinder war dicht geknüpft.

Auch hier hat sich im Sanierungszeitraum die quantitative Versorgung nicht verbessert - im Gegenteil. Zu einem Zeitpunkt als es schon die ersten Kinderwagenstaus auf dem neu eingerichteten (von den Anwohnern erkämpften!) Markt auf dem Kollwitzplatz gab, wurden noch die letzten Grundschulen im Kiez geschlossen und mit viel Geld für allgemeine kulturelle Nutzungen umgebaut. Dies verschweigt die offizielle Sanierungsbilanz. Sie verschweigt ebenso, daß nun, nach massivem Eltern-Protest, diese Gebäude wiederum mit öffentlichen Geldern zu Schulen zurückgebaut werden (müssen). In der Summe muß deshalb festgehalten werden: die vom Bezirk vorgehaltene Infrastruktur hat sich funktional eher verschlechtert als verbessert. Daß die bauliche Substanz innerhalb von 20 Jahren nach der Wende auf Vordermann gebracht worden ist, versteht sich in einer ordentlich wirtschaftenden Kommune von selbst. Sich dies als Erfolg auf die Fahnen zu heften ist unlauter, vor allem, wenn dabei überwiegend EU-Gelder aus Förderprogrammen zur Stärkung der ökonomischen Struktur in wirtschaftliche schwachen Regionen eingesetzt worden sind ("EFRE", sonst aus Kalabrien, dem "Mezzogiorno", oder Andalusien bekannt).

Verbessert hat sich ohne Zweifel die Infrastruktur im Bereich Einkaufen und Gastronomie. Der südliche Prenzlauer Berg ist ein Kneipen- und Restaurant-Eldorado geworden. Daneben hatten es die Läden anfangs schwer, inzwischen haben sie sich im Kollwitzkiez, gestärkt durch den Motor Kollwitzmarkt, etabliert, auch wenn die Auswahl etwas seltsam ist (es gibt z.B. kaum normale Gemüsegeschäfte). Die öffentlich gesteuerte Sanierung hat die Entwicklung einer dichten, d.h. funktionierenden Ladenstruktur, nicht nur wie am Beispiel Kollwitzstraße 52 belegt, sondern auch in etlichen anderen Fällen, eher behindert als gefördert (s. nächstes San-Ziel).

 

Erhaltung und Ausbau einer wohnnahen Wirtschaftsstruktur (IV.)

Traditionell waren die Kerngebiete des Prenzlauer Berg (bis zum 1. Weltkrieg erbaut) keine reinen Wohngebiete sondern eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten. Im Souterrain und im Erdgeschoß bzw. Hochparterre gab es Werkstätten und Läden. In den großen Vorderhaus-Wohnungen der ersten Bauspekulation (s. Link!) hatten sich bald Mischnutzungen etabliert. Die Adressbücher zur Kollwitzstraße 52 aus den 1920er bis 1940er Jahren weisen das Haus (stellvertretend) als Wohn- und Produktionsstätte im Bereich Textilien, Schuhe u.a. aus (Bademantelherstellung, Pantoffelproduktionu.a.). In den Remisen bzw. den Hintergebäuden an den größeren Ausfallstraßen waren Werkstätten und kleine Fabrikationen untergebracht. Von dieser Struktur ist zum Ende der DDR nicht mehr viel erhalten geblieben. Die Mischnutzungen in den großen Wohnungen waren völlig verschwunden, die meisten Ladenlokale waren entweder geschlossen oder wurden als Lager o.ä. genutzt. Die Kollwitzstraße bot sich 1990 dem Fußgänger als eine Straße der zugesperrten und zugemauerten (Souterrains) Türen und Fenster. Selbst in etlichen Läden, die genutzt wurden (Kollwitz 50: Lager für die Poliklinik), waren die Fenster verhangen bzw. die Rolläden heruntergelassen. In einigen Remisengebäuden arbeiteten zu Wendezeiten nach wie vor Handwerksbetriebe (z.B. Kollwitz 53: Fahrrad- und Simson-Reparatur).

Bedingt durch die Lage in der Stadt, die Art der erhaltenen Altbausubstanz und die städtebauliche Anlage (breite Bürgersteige, z.T. große Bäume) erwies sich der südliche Prenzlauer Berg in den ersten 90er Jahren schnell als Anziehungspunkt für Restaurants und individuelle und experimentierfreudige Läden jeder Art. Während die Restaurants sofort funktionierten, mußte viele Läden wieder aufgeben, auch weil die Ladenstruktur z.B. in der Kollwitzstraße zu dünn war. Was anfangs durch Kriegslücken bedingt war, hat sich aber leider durch die Sanierungspraxis und die Neubaupolitik der Bezirkspolitikern beaufsichtigten städtischen Wohnungsbaugesellschaft WIP verfestigt. Wo das Eckhaus, in dem das Ehepaar Kollwitz wohnte, früher angesichts der Lage selbstverständlich ein Geschäftsuntergeschoß hatte, so bietet der Neubau der WIP heute dem Passanten Putzflächen an. Es gibt hier wie in anderen Neubauten, die teilweise architektonisch in die Kammer des Schreckens gehören, kein sich dem Passanten öffnendes Erdgeschoß, dafür aber Lüftungsklappen der Keller.

Obwohl der Voruntersuchungs-Bericht der S.T.E.R.N zur späteren Festlegung der Sanierungsgebiete noch festgestellt hatte, daß in den Häusern der Kieze bedingt durch die damals übliche extrem große Gebäudetiefe in Kombination mit den engen Innenhöfen und den großen Bäumen auf der Straße in den Erdgeschossen und Hochparterre-Wohnungen aus Lichtgründen kein Wohnen sinnvoll sei und diese Einheiten als Gewerbeeinheiten zu nutzen seien, wehrte sich die Bezirksverwaltung in der Praxis der Sanierung gegen eine gewerbliche Nutzung auch als Praxis oder Laden (nicht nur gegen Kneipen, was verständlich gewesen wäre). Dies bedeutete, daß die Belastung der Mietwohnungen in der finanziellen Kalkulation einer Haussanierung höher wurde, dies bedeutete vor allem, daß sich eben nicht überall die kritische Masse an Läden entwickeln konnte, die für die wünschenswerte dichte Einkaufsstruktur notwendig ist.

In der Kollwitzstraße 52 haben wir mit allen argumentativen Mitteln die grüne Stadtbaurätin Dubrau davon zu überzeugen versucht, daß ein Haus mit preiswerten Wohn-Mieten (Sanierungsziel!) irgendwo auch nennenswerte Einnahmen haben müsse (in den zu schaffenden Laden- und Praxisräumen), daß wir ja im Dach mehr neuen Wohnraum schaffen wollten, als er durch die Zusammenlegung von Hochparterre (eine Wohnung) und Souterrain (Kellerräume) verloren ginge, daß auch die alten Mieter unter den von S.T.E.R.N benannten Lichtprobleme gelitten hätten, allein, die Dame war keinen Argumenten zugänglich. Ein vom Kulturamt (danke noch einmal!) anberaumtes Moderationstreffen mit der Stadtbaurätin und dem Stadtplanungsamt begann damit, daß Frau Dubrau erklärte, sie würde keinenfalls ihren Standpunkt ändern (5). Damit war das Treffen am 26. November 1996 schon nach wenigen Minuten sinnlos, uns blieb nur der juristische Weg, den wir möglichst nicht beschreiten wollten, da wir absolut unterfinanziert waren und uns keinen langwierigen und teuren Rechsstreit erlauben konnten. Zu unserem Erstaunen erreichte schon der erste Brief unseres Rechtsanwaltes, der einfach nur noch einmal alle unsere Argumente aufgelistet hatte, sein Ziel. Frau Dubrau blies zum Rückzug und wir konnten die Läden bauen und damit dem Haus eine halbwegs vernünftige finanzielle Perspektive geben. (In der Praxis mußten wir später unsere Erwartungen etwas zurückschrauben, da durch die genannten Problem die Läden anfangs große Schwierigkeiten hatten.)

Das vom Senat vorgegebene Sanierungsziel des Ausbaus der Wirtschaftsstruktur (Leitsatz 4) ist wie in anderen Bezirken so auch in Prenzlauer Berg frühzeitig von den politisch Verantwortlichen (z.B. der Stadtbaurätin Dubrau) wie auch vom Sanierungsträger S.T.E.R.N in der Praxis konterkariert worden.

Das absolute Unverständnis der Sanierungsverantwortlichen dafür, daß die öffentlichen Förderungen irgendwo auch über Steuern vom Land Berlin und damit auch dem Bezirk verdient werden müssen, offenbart sich auch darin, daß im Prenzlauer Berg ohne Not kriegsbedingte Baulücken von Gewerbebetrieben freigeräumt wurden, ohne daß die Lücken sofort wieder bebaut wurden. Diese Betriebe, heute entweder geschlossen oder im Umland von Berlin, hatten Steuern gezahlt und Arbeitsplätze geboten. Hochgradig absurd ist der Fall in der Pappelallee, wo u.a. ein Baustoffhandel weichen mußte, nur damit dort heute eine "Zukunftswerkstatt" - finanziert über Fördermittel der EU - über Arbeitsprojekte der Zukunft brüten kann. Wundern muß man sich über diese Praxis nicht, da schon die Vertreibung einer gut funktionierenden Gewerbestruktur vom ehemaligen Schlachthofgelände in der Eldenaer Straße erfolgte, ohne daß daraus außer der Vernichtung von mehreren 100 Millionen Euro Steuergeldern etwas Nenneswertes erfolgte ( eines von fünf teilweise auf halber Strecke gestrandeten "Entwicklungsgebieten", für die Berlin insgesamt 1,17 Mrd. Schulden machen mußte. (6)

 

Zur Beendigung des Sanierungsstatus feierte der Bezirk einerseits den Erfolg der Sanierung ("weitgehend ein Erfolg" bei Ausgaben von 131 Millionen € für Förderungen/Maßnahmen) (7), andererseits wurde den Grundstückseigentümern, die doch preiswerten Wohnraum schaffen sollten, die Rechnung präsentiert – für unser Haus: € 56.500 als vorab gezahlte und deshalb reduzierte „Sanierungsausgleichsabgabe“.

Wie das Haus Kollwitzstraße 52 keine 10 Jahre nach der Beendigung der Haus-Sanierung und Modernisierung bei einer Durchschnittsmiete von € 4,43 pro Quadratmeter (incl. Teilgewerbezuschlag für im Haus arbeitende Künstler und Psychologen!) eine Summe von € 56.500 als erwirtschaften soll, wird auf immer ein Rätsel bleiben. Wir haben gegen die absurde Berechnungsgrundlage für diese „Abgabe“ dieser Summe protestiert. (Die Berechnung wurde von S.T.E.R.N (sic!) angefertigt – die Kriterien sind weiter gefaßt als die hier beschriebenen Sanierungsziele). Auf eine Klage vor dem Verwaltungsgericht aber haben wir verzichtet, da dieses in solchen Fällen den Sachverhalt (Grundstückswertsteigerung als Folge der Wohnumfeldverbesserung bedingt durch öffentliches Sanierungsmaßnahmen) nicht inhaltlich prüft, sondern lediglich Verfahrensfehler berücksichtigt.

Da der Bezirk selbst einen Mehrwert einfordert, der mit niedrigen Mieten nicht zu erwirtschaften ist, haben wir mit Beginn des Jahres 2009 unseren alten Anspruch aufgegeben, in allen Mietwohnungen eine niedrigere als die Marktmiete anzubieten. (Zum Vergleich: Berliner Durchschnitt der im Mietspiegel erfaßten Wohnungen: € 4,83, tatsächl aber € 6,96 lt. Pressemitteilung Immowelt.de vom 15.9.2009).

Darauf, daß wir die Sanierung des Hauses trotz der widrigen Umstände geschafft haben (*), sind wir stolz. Zur Aufhebung des Sanierungsgebietes, Ende 2008, wohnten von ursprünglich 10 Mietparteien noch drei im Hause. Die Arztpraxis aus DDR-Zeiten besteht weiterhin - mit einem generationsbedingten Wechsel des Arztes. (**)

 

 

(*) Über das Wie? folgen zu einem späteren Zeitpunkt Dokumente und Darstellungen.
(**) Über Motive und heutige Wohnorte der früheren Mieter folgt zu einem späteren Zeitpunkt eine Übersicht. Zur Frage des Wechsels in Wohngebäuden in Prenzlauer Berg vgl. auch die Adressbuchausschnitte zu diesem Haus von: 1920 und 1933. Hieraus ist ersichtlich, daß die gegenwärtig heiß diskutierte "Vertreibung" bzw. die hohe Fluktuation im Prenzlauer Berg, zumindest was unser Haus betrifft, nichts Neues ist.

 

Quellen:
(1) Leitsätze zur Stadterneuerung in Berlin v. 31.8.1993, Berliner Senat 1993.
(2) Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen, "Fünf Ost-Berliner Sanierungsgebiete festgelegt", Druckschrift v. 1.9.1993
(3) "Vor Ort" (Stadterneuerung in Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow), September 2002, S. 5
(4) Tagesspiegel v. 29.4.2009, Kollwitzplatz: Prekäres Paradies
(5) Christoph Radke, schriftliches Gedächtnisprotokoll der Sitzung v. 26.11.96 von eben diesem Tage
(6) Berliner Morgenpost v. 3.6.2008, "Neues Millionenrisiko bei Entwicklungsgebiet"
(7) Berliner Zeitung v. 6.9. 2008: "131 Millionen für einen Kiez ohne Spießer".

 

 

 

Startseite
Chronologie
Dokumente
Vertiefende Texte
Impressum
2009-08-17