Kollwitzstrasse 52 | Berlin-Prenzlauer Berg
Informationen zur Geschichte des Hauses Kollwitzstraße 52 in Berlin, Prenzlauer Berg

Vertiefende Texte


Kollwitzstraße 52, Läden und Gewerbe – 1873 bis heute

Das Haus Kollwitzstraße 52 (vor 1945: Weissenburgerstr. 25) ist schon von der Planung her als Wohnhaus mit Gewerbeflächen konzipiert worden. Von der Straße aus gab es direkte Treppen in die Läden im Souterrain. Das Souterrain ist mit 2,70 Meter Deckenhöhe und mit zur Straße hin relativ großen Fenstern als Vollgeschoß gebaut worden. Die Nutzung dieser Gewerbeflächen hat sich im Laufe der Jahrzehnte permanent gewandelt. Einzelne Nutzungsänderungen, wie die Einrichtung eines Wurstkessel und einer Räucherkammer im Jahr 1893, sind in der Bauakte dokumentiert. In einer Wohnung im 2. OG wurde 1897 eine „Ladeneinrichtung“ in den Räumen des Seitenflügels amtlich registriert.

Aus den Adressbüchern der 1930er und 1940er Jahren ist bekannt, daß sehr viele Wohnungen von Schneidern und anderen im Textilbereich Tätigen bewohnt waren. Diese haben im Haus nicht nur gewohnt sondern auch produziert. Die Bedeutung der Textilproduktion für Berlin in dieser Zeit fand im Haus eine kleine Entsprechung. Aus einer unveröffentlichten Studie und Materialsammlung des Prenzlauer-Berg-Museums (heute: Museumsverbund Pankow) von Mitte der 1990er Jahre zu Zwangsarbeiterinnen im Prenzlauer Berg während der Zeit des 2. Weltkrieges ergibt sich, dass in der Mehrzahl der großen Wohnungen kleine Handwerksbetriebe mit mehreren Mitarbeitern angesiedelt waren. In diesen waren in den Jahren 1940 bis 1945 Frauen als Zwangsarbeiterinnen beschäftigt. Neben reinen Schneiderbetrieben gab es spezialisierte Betriebe wie eine Badepantoffelproduktion.

Mindestens einer dieser kleinen Betriebe, eine Parfümerie Kalbow, war auch noch in den ersten Jahren nach Gründung der DDR in Betrieb.(1)

Seit 1953 wurden dann die Räume der Parfümerie von einer Arztpaxis genutzt – von 1953 bis 1970 von Dr. Senst, ab 1971 zunächst von Frau Dr. Wilke, dann von Dr. Hacke und schließlich vom Ehepaar Dr. Beck. In den Jahren vor 1989 fungierte diese Praxis als Außenstelle der Poliklinik „Karl Kollwitz“ in der Prenzlauer Allee. Das Ehepaar Beck übergab 2002 die allgemeinärztliche Praxis an Dr. Weyer. Seit dem 1.4.2012 betreibt schließlich Dr. Schläfke in diesen Räumen eine orthopädische Fachpraxis.

Oberhalb der Fenster und Eingänge zu den Souterrainläden des Hauses befanden sich in der ursprünglichen Fassadengestaltung jeweils eine Reihe zurückgesetzten Balustern als architektonische Trennung zu den darüber befindlichen Hochparterrefenstern (In der ursprünglichen Fassadenplanung ist dieses Element nur bei den beiden mittleren Fensterachsen angedeutet. Alle drei Elemente ergaben in der Fassade ein die Tiefe betonendes kräftiges vertikales Element, das in der Fassadengliederung die Abfolge der darüber befindlichen Stockwerksfenster gleichsam stützten. Spätestens bei der ersten Sanierung des Hauses (zu DDR-Zeiten – 1972) wurde diese Gliederung der Fassadengestaltung zerstört. Die Vertiefungen der Balusterreihen wurden zugemauert, das gesamte Souterrain wurde durch Vormauerungen abgesperrt, lediglich kleine Kellerlüftungen blieben. Die früheren Läden (und zu DDR-Zeiten: Wohnungen) wurden in ein Labyrinth von Kellerabteilungen aufgelöst.

Im Zuge der Sanierung ab Ende der 1990er Jahre wurde die Gewerbeflächen im Souterrain wieder geöffnet und über neue Abgänge von der Gehwegsfläche her erschlossen. Um einerseits zu praktikablen Ladenflächen zu kommen, andererseits möglichst viel Fläche für Mieterkeller im Souterrain zu belassen und schließlich die Läden ausschließlich direkt von der Straße her und nicht durch den allgemeinen Hauseingang zu erschließen, wurde ein geschacheltes Gewerbeflächenkonzept entwickelt. Auf der rechten Hausseite ergibt sich damit heute eine größere Laden- und Lagerfläche unterhalb der Arztpraxis, auf der linken Hausseite ein kleiner in die Tiefe gehender Laden im Souterrain sowie ein größerer Laden über Souterrain und Hochparterre. Beide Laden/Gewerbegeschosse wurden über moderne vertikale, die Stockwerke verbindende Ladenfenster markiert. Diese vier Fenster/Ladeneingangselemente nehmen das Motiv der historische Vertiefung der Fenster/Baluster dieser beiden Stockwerksebenen auf (Beim Umbau fanden sich hinter den Vormauerungen Reste der Baluster wieder). Eine Übersicht über die heutigen Läden und Gewerbe im Haus findet sich hier:

Die Hausersteigerung 1990 hatte für uns (die Verfasser) das Ziel, im leerstehenden Dachgeschoß Atelierräume für uns selbst zu gewinnen. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden leere Wohnungen zunächst vorzugsweise an Künstler vermietet, um die teilweise sehr großen Zimmer als Ateliers nutzen zu können. Heute leben und arbeiten eine Reihe von Künstlern und Grafikern einigen der Wohnungen, in denen im frühen 20. Jahrhundert eine Textilproduktion stattfand. In einem dieser Ateliers finden sich heute noch im Parkettboden die Schraublöcher, in denen früher die schweren Nähmaschinen verankert worden waren. Im Haus Kollwitzstraße 52 findet sich wiederum eine Entsprechung zu den allgemeinen Veränderungen in Berlin. Es spiegelt im Kleinen die gestiegene Bedeutung der „kreativen“ Berufe für Berlin seit Beginn der 2000er Jahre.

1883 wurde auf der nördlichen Seite des Hofes ein Remisengebäude errichtet, mit einem Stall für Pferde zu ebener Erde und einem „Apartement“ im 1. Obergeschoß. 1903 wurde auch die frühere Stallung zu einer Wohnung umgenutzt. Bis in die 1970er Jahre blieb zumindest die obere Wohnung bewohnt. Nach dem Tod einer älteren Dame verfiel das Gebäude zunehmend und wurde schließlich Mitte der 1900er Jahre in Eigeninitiative von Hausbewohnern halb abgetragen. Das verbleibende Erdgeschoß bekam ein Notdach, aus dem noch die Mauern des Obergeschosses herausragten. Im Erdgeschoß richteten sich zwei Hausbewohner mit Billigung der „Kommunalen Wohnungsverwaltung“ (KWV) jeweils eine Garage ein. Die Hausgemeinschaft durfte sich von der KWV als Dank für ihre Eigenleistung etwas kaufen und wünschte sich eine elektrische Mangelmaschine. (2) Diese Maschine wird heute noch im Keller des Hauses aufbewahrt.

2008 wurde ein Antrag auf Wiederaufbau der Remise als modernes Hofgebäude genehmigt. Der Neubau wurde 2010 mit einer großen Glasfront zum Hof und einem Durchblick zum Hof der Häuser in der Diedenhofer Straße realisiert. Ähnlich wie schon das historische Gebäude wird das Erdgeschoß gewerblich (als Architekturbüro) genutzt, im Obergeschoß befindet sich eine Einliegerwohnung.

Quellenangabe: Bis 1990: soweit nicht anders vermerkt: Bauakte zum Haus Kollwitzstr. 52/Berlin, eingesehen im Bezirksamt Prenzlauer Berg/Berlin (Heute: „Pankow“) im Januar 1991. Ab 1990: Eigentext der Verfasser: Christoph Radke / Nicolaus Schmidt.

(1) Schriftliche Auskunft des Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen im Herbst 1991 zu den Restitutionsanspruchstellern zum Haus Kollwitzstraße 52 bis zum 31.3.1991.
(2) Mieterliste und mündliche Auskünfte des ehemaligen Hausbewohners Günther Wilke.



Startseite
Chronologie
Dokumente
Vertiefende Texte
Impressum
2009-08-29